Oberammergau

Im Vorwort zum " Weihnachtsoratorium", seinem Erstlingswerk in diesem Genre, verweist der Komponist und Autor darauf, dass er hier nicht zunächst Eigenständiges geschaffen, sondern Bekanntes in neuer Form zusammengeführt habe. Den Anstoß zur dieser Arbeit habe er, so Müller selbst, bei einem Besuch der Oberammergauer Passionsspiele im Jahre 1871 erhalten. Das Oberammergauer Passionsspiel geht zurück auf ein Pestgelübde des Jahres 1633. Seither finden bis zur Gegenwart dort alle zehn Jahre Auführungen der Leidensgeschichte Jesu statt. Von mehr als zehntausend Besuchern ist seit 1760 die Rede. Aufgrund verschiedener Publikationen setzte nach 1820 ein bemerkenswerter Publikumszustrom des bisher auf dem Kirchhof aufgeführten und eher rustikal vorzustellenden Spiels ein.

Gäste reisten teils von weither, aus dem In- und Ausland bis aus dem fernen Amerika, in die Gemeinde am Alpenrand. Viele Intellektuelle und Angehörige adliger Schichten gehörten neben einfachen Pilgern und Schaulustigen zu den Gästen. Das Verbot des Oberammergauer Pfarrers, weiterhin den Kirchhof als Spielort zu nutzen, führte zur Schaffung einer eigenen Theaterbühne am Ortsrand und später zum Bau eines festen Passionsspielhauses.“ 17 Aufführungen haften 1870 von Mai bis Juli insgesamt stattgefunden. Etwa 30.000 Besucher hatte man dabei verzeichnet, darunter u. a. Franz Liszt. Eine Aufführung in den Jahren 1870/1871, wie auch Heinrich Fidelis Müller sie hier erlebte, dauerte - nicht anders als das Spiel gegenwärtig – rund 6 Stunden, unterbrochen von einer etwa zweistündigen Mittagspause.
An seinen Besuch zurückdenkend schreibt er 1875 über die musikalische Gestaltung:
„...So konnte ich ... den Gedanken nicht wieder los werden, daß es weit ergreifender und wirkungsvoller gewesen wäre, wenn nach Art der mittelalterlichen geistlichen Spiele zu den betreffenden Szenen anstatt der in die Länge gezogenen subjektivistischen refelektierenden, in moderner Musik einherschreitenden Chorgesänge die einfachen, alten kräftigen und herzinnigen Kirchen – und geistlichen Lieder zum Vortrage gekommen wären.“